#Growscience: Teil III/I - Intensität

Nachdem wir in uns in den letzten beiden Teilen die physiologischen und konzeptuellen Grundlagen des sportlichen Trainings und des Muskeltrainings im Besonderen angeschaut haben, werden wir uns in diesem Teil die konkreten Trainingsvariablen genauer anschauen. Dabei liefert uns jede Trainingsvariable eine Antwort auf eine andere zentrale Frage der Trainingsplanung.

Die zentralen Fragen und die damit verbundenen Parameter der Trainingsplanung lauten:

„Welches Gewicht soll ich wählen und wie hart soll ich trainieren?“
—> Intensität und Ausbelastung

„Wie viel soll ich trainieren?“
—>
Volumen

„Wie oft soll ich trainieren?“
—> Frequenz

„Wie passe ich mein Training langfristig an?“
—> Periodisierung und Zyklisierung

„Was ist sonst noch alles wichtig?“
—> Kadenz, Pausengestaltung, Übungsauswahl

 

In diesem Teil werden wir uns als erstes Intensität und Ausbelastung anschauen.

1.      Intensität:

Mit welchen Anpassungserscheinungen unser Körper beziehungsweise unsere Muskelsystem auf ein bestimmtes Training reagiert, hängt zu einem großen Teil von der Wiederholungsanzahl und der muskulären Ausbelastung ab. Die Wiederholungsanzahl können wir als Intensität angeben, die muskuläre Ausbelastung kann über subjektive Skalen wie zum Beispiel die RPE-Skala bestimmt werden und hängt eng mit dem Begriff des Muskelversagens zusammen.  Gehen wir zunächst auf die Intensität ein.

Wenn wir von Intensität sprechen, meinen wir im trainingswissenschaftlichen Kontext die Höhe der Last! Das mag den ein oder anderen verwirren, denn die Intensität hat in diesem Zusammenhang erstmal nichts damit zu tun, wie erschöpfend oder anstrengend unser Training ist. Die Begriffe Intensität und Ausbelastung werden deshalb häufig fälschlicherweise synonym benutzt.

Die Intensität als Trainingsvariable im Kraftsport wird als prozentualer Anteil des individuellen, maximalen für eine Wiederholung bewegbaren Gewichts angegeben – des „One Repetition Maximums“ (1RM) bzw. des Maximalgewichts (Analog dazu spricht man auch vom 5RM oder 10RM, also dem Gewicht, dass man für maximal 5 bzw. 10 Wiederholungen bewegen kann).
In vielen Trainingsplänen werden uns also Angaben in Prozent des 1RMs/Maximalgewichts begegnen:
Angenommen, du kannst 100kg einmal auf der Bank drücken, dann würden 70% deines Maximalgewichts 70kg entsprechen – zugegeben, das ist ein sehr einfaches Rechenbeispiel, aber es geht ja auch eher ums Prinzip.

Damit haben wir aber noch keine Aussage darüber getroffen, wie viele Wiederholungen wir mit dem gewählten Gewicht bewältigen wollen oder überhaupt können. Verallgemeinernd kann man verschiedenen prozentualen Intensitäten – aufgrund von Studien und Berechnungen - ungefähre, theoretisch maximal mögliche, Wiederholungszahlen zuordnen:

100% deines 1RM          =                                                     1                          Wiederholung
90% deines 1RM            =                                                     3-4                      Wiederholungen
80% deines 1RM            =                                                     8                          Wiederholungen
70% deines 1RM            =                                                     12                        Wiederholungen

Mit den 70kg auf der Bank aus dem vorherigen Beispiel solltest du also in etwa 12 Wiederholungen schaffen können.

Wir sollten hierbei im Hinterkopf behalten, dass dies nur grobe Zahlen sind und diese sich stark von Athlet*in zu Athlet*in unterscheiden können, was unter anderem mit der Gestaltung des Trainings, der konkreten Übung, aber auch mit persönlichen Faktoren, wie zum Beispiel dem Stresslevel, der Erholung und dem Trainingszustand zusammenhängt.

Da unser Körper auf spezifische Reize immer auch mit einer spezifischen Anpassung reagiert (man spricht dabei vom Prinzip der Spezifität) erzielen unterschiedliche Wiederholungsbereiche in unserem Training auch unterschiedliche Effekte.

Grundsätzlich können wir drei grobe Wiederholungsbereiche unterscheiden:

Niedrige Wiederholungszahlen: 1-5 Wiederholungen

Moderate Wiederholungszahlen: 6-12 Wiederholungen

Hohe Wiederholungszahlen: 12+ Wiederholungen

Niedrige Wiederholungszahlen mit einer hohen Intensität (~90-100% des 1RMs) sind vor allem eine komplexe Herausforderung für unser Nervensystem. Diese Art der sehr kurzen und sehr starken Krafteinsätze erschöpft die Energievorräte des Körpers nur gering und der Abbruch der Belastung wird primär durch Erschöpfung des Nervensystems und nicht durch die Erschöpfung der Muskeln bedingt. Diese Art des Trainings wird von den meisten Powerlifter*innen verfolgt und wird aufgrund der dominanten Bedeutung von neuralen Prozessen auch Intramuskuläres-Koordinations-Training genannt (IK-Training). Wir rekrutieren bei dieser Art des Trainings zwar alle Muskelfasern, jedoch nicht lange genug, als dass diese komplett erschöpft wären. Dem Prinzip der Spezifität folgend wird der Muskel also besser darin, ein hohes Gewicht für wenige Wiederholungen zu bewegen – wir verbessern also primär unsere Maximalkraft (hauptsächlich durch die eben erwähnten neuralen Anpassungen).

Hohe Wiederholungszahlen mit niedrigen Intensitäten (<70% des 1RMs) sind weniger anstrengend für unser Nervensystem als hohe Intensitäten, dafür müssen die Muskelfasern über einen längeren Zeitraum kontrahieren, es sammeln sich viele Stoffwechselprodukte an und es kann zur typischen „Übersäuerung“ des Muskels kommen. Trainiert man hauptsächlich in diesem Bereich wird der Körper besser darin, ein geringes Gewicht für viele Wiederholungen zu heben und wir trainieren primär unsere Kraftausdauer (indem der Muskel z.B. seine Energiebereitstellung optimiert).

Moderate Wiederholungszahlen befinden sich im Kontinuum zwischen diesen beiden Extremen – der Muskel wird also besser darin, moderates Gewicht für eine moderate Anzahl von Wiederholungen zu bewegen.

Für unsere Trainingsplanung stellt sich jetzt die Frage, welcher dieser drei Bereiche am geeignetsten für den Muskelaufbau ist. Fast jeder, der sich schon einmal mit dem Hypertrophietraining auseinandergesetzt hat, wird wahrscheinlich mit der Aussage konfrontiert worden sein, man solle sein Gewicht so wählen, dass maximal 6-12 Wiederholungen möglich seien (was ungefähr 70-85% des 1 RMs entspricht) und in diesem Bereich trainieren. Auch wenn diese Aussage so nicht ganz korrekt ist und die Antwort komplexer ausfällt, so hat sie doch ihre Berechtigung.

In verschiedenen Studien hat man herausgefunden, dass sowohl ein Trainingsplan, bei dem vorwiegend Wiederholungszahlen im klassischen Hypertrophiebereich (6-12 Wiederholungen) absolviert wurden als auch Trainingspläne, welche auf niedrigere (1-5 Wiederholungen) und höhere (12+ Wiederholungen) Wiederholungszahlen setzten, ähnliche Hypertrophieeffekte erzielen konnten, zumindest kurz- und mittelfristig. [1] [2] [3] [4]

„Auch sehr unterschiedliche Wiederholungsbereiche führen (zumindest kurzfristig) zu vergleichbarem Muskelwachstum.“

 

2.   Ausbelastung

Wichtiger als die gewählte Wiederholungszahlen ist der Grad der muskulären Ausbelastung, also wie nahe man sich am Ende eines Satzes am Muskelversagen befindet und wie hoch die Anzahl der rekrutierten Muskelfasern ist. Diese Ausbelastung ergibt sich aus der gewählten Intensität und den realisierten Wiederholungszahlen. Auf die Frage des optimalen Wiederholungsbereichs und den Hypertrophiebereich werde ich später noch einmal zurückkehren, denn auch wenn seine Bedeutung eher sekundär ist, so spielt er doch eine Rolle.

Nehmen wir an, wir wählen wieder die 70% unseres Maximalgewichts vom Bankdrückbeispiel oben, also 70kg. Laut der Tabelle können wir in etwa davon ausgehen, maximal 12 Wiederholungen zu schaffen. Ziehen wir alle 12 Wiederholungen durch, so wird der Satz extrem anstrengend sein, da wir alle Reserven mobilisieren müssen, um die maximal mögliche Wiederholungszahl zu absolvieren. Hören wir aber mit demselben Gewicht nach der 5. Wiederholung auf, werden wir kaum erschöpft sein. An diesem Beispiel kann man sehen, dass erst die Kombination aus Intensität und realisierter Wiederholungsanzahl bestimmt, wie anstrengend unser Satz sein wird und wie hoch dementsprechend der Grad der muskulären Ausbelastung ausfallen wird - je nachdem, wie sehr wir die, für uns maximal mögliche, Wiederholungsanzahl ausschöpfen, desto größer ist die Ausbelastung und desto näher kommen wir dem Muskelversagen.

Lass mich hier kurz auf den Begriff des Muskelversagen eingehen. Denn auch dieser wird recht schwammig benutzt. Sprechen wir vom konzentrischen Muskelversagen, so meinen wir das Unvermögen, den positiven, konzentrische Anteil der Wiederholung mit einer sauberen Technik (also ohne zu Hilfenahme anderer Muskelgruppen) bewältigen zu können. Bei einem Bizeps-Curl würde das also heißen, dass wir das Gewicht nicht mehr nach oben heben können. Während das bei einem Bizeps-Curl und anderen eingelenkigen, weniger komplexen Übungen von Zeit zu Zeit im Rahmen einer sinnvollen Trainingsplanung gewollt sein kann, wollen wir es bei komplexeren Übungen wie z.B. einer Kniebeuge in jedem Falle vermeiden, dass unsere Muskeln während der Ausführung versagen. Im Falle des konzentrischen Muskelversagens würde das bedeuten, dass wir bei der Kniebeuge nicht mehr aus der Hocke nach oben kommen, ohne dass die Ausführung darunter leidet und dass wir uns einem hohen Verletzungsrisiko aussetzen.        
Analog zum konzentrischen Muskelversagen bedeutet das exzentrisches Muskelversagen, dass unsere Muskeln unter dem Gewicht, dass wir bewegen wollen, ganz versagen und wir das Gewicht – z.B. beim Bizep-Curl – nicht einmal mehr kontrolliert ablassen können. Das kann beim Bizeps-Curl auch noch toleriert werden, bei einer Kniebeuge würde das das Verletzungsrisiko aber noch einmal unnötig steigern – Wiederholungen, bei denen wir die Kontrolle über das bewegte Gewicht verlieren, wollen wir also in jedem Falle vermeiden!         
Wichtig ist, dass die oben genannten Definitionen von Muskelversagen immer die Grundannahme einer sauberen Technik voraussetzen. Dabei spricht man vom (konzentrischen/ exzentrischen) technischen Muskelversagen. Gemeint ist also, dass dein Muskel unter Beibehaltung einer einwandfreien Technik keine weitere Wiederholung (konzentrisch oder exzentrisch) mehr leisten kann.
Mit abgefälschter Technik, also der Zuhilfenahme anderer Muskeln und eventuellem Schwung kann es je nach Übung möglich sein, noch weitere Wiederholungen zu „ermogeln“. Ist auch mit dieser falschen Technik keine weitere Wiederholung möglich, spricht man vom absoluten Muskelversagen. Da absolutes Muskelversagen a) andere Muskelgruppen, als jene, welche wir eigentlich trainieren wollen, zur Hilfe nimmt und b) eine technisch einwandfreie Führung des Gewichts per Definition unmöglich macht (und somit das Verletzungsrisiko stark ansteigen lässt), wird auf absolutes Muskelversagen weitestgehend verzichtet und ist nur Ausnahmesituationen vorbehalten.

Wie ich in Teil I erwähnt hatte, rekrutiert unser Körper immer so viele Muskelfasern wie für die, an ihn gestellte, Belastung vonnöten sind und das in einer festgelegten Reihenfolge: von den langsamen, ausdauernden Typ I Muskelfasern zu den schnellen und kräftigen Muskelfasern des Typs II (das Hennemannsche Größenordnungsprinzip).

Umso näher wir dem Muskelversagen kommen, desto mehr Muskelfasern muss der Körper rekrutieren und umso mehr Muskelfasern wir rekrutieren und beanspruchen, umso größer fällt der hypertrophische Reiz letztendlich aus.“

Das ist ein deutlich vereinfacht ausgedrückter Zusammenhang, soll für unsere Überlegungen aber grundsätzlich genügen.

Dieser Gedankengang könnte uns schnell zu der Schlussfolgerung verleiten, jede Übung und jeder Satz sollte bis zum technischen Muskelversagen durchgeführt werden. Während das auf kurzfristige Sicht, also im Rahmen einer einzigen Trainingseinheit, zutrifft, so ist es auf lange Sicht (und der Kraftsport ist eine sehr langfristige Angelegenheit) nicht zielführend, immer bis ans Muskelversagen zu trainieren.
Das liegt hauptsächlich daran, dass ein Satz bis zum Muskelversagen überproportional anstrengender und erschöpfender für unser Muskel- und Nervensystem ist als ein Satz, der 1 bis 2 Wiederholungen vor dem Muskelversagen stoppt, und zwar einen etwas geringer ausfallenden Hypertrophiereiz setzt (in manchen Studien scheint der Unterschied sogar ganz verschwunden zu sein), welcher aber nicht proportional zum Anstieg an Erschöpfung ist. [5] [6]          
Das heißt ein geringfügig intensiverer, zusätzlicher Hypertrophiereiz pro Satz wird mit einem hohen Maß an zusätzlicher Erschöpfung erkauft. Wir werden also im zweiten, dritten und vierten Satz weniger Gewicht bewegen können als im ersten Satz und weniger effektive Sätze pro Muskelgruppe in einer bestimmten Zeitspanne absolvieren können (unser gesamtes Trainingsvolumen wird also geringer und wie wir uns im nächsten Abschnitt anschauen werden, ist Volumen ein wichtiger Faktor für langfristiges Muskelwachstum).

3.   Subjektive Belastung/ Die RPE-Skala

Einzuschätzen, wie viele Wiederholungen wir mit welchem Gewicht im Training absolvieren können uns wie nahe wir uns dann am Muskelversagen befinden ist im Voraus nur begrenzt möglich – zu viele individuelle Faktoren spielen dabei eine Rolle. Um trotzdem ein Hilfsmittel in der Hand zu haben, mit dem wir den Grad der muskuläre Ausbelastung bestimmen können, hat sich die Verwendung der RPE-Skala durchgesetzt – RPE steht hierbei für die „Rate of Perceived Exertion“, also den Grad der empfundenen Anstrengung. Die RPE-Skala kann Werte von 0-10 annehmen. In ihrer Ursprungsform sind den einzelnen Zahlen Kategorien der Anstrengung zugeordnet. Sie reichen von 1 = sehr leichte Aktivität, kaum anstrengend (z.B. ein Spaziergang) bis 10 = maximale Anstrengung/ es ist fast unmöglich weiter zu machen (z.B. ein maximaler Sprint).      
Um die Anstrengung eines Satzes im Krafttraining zu bestimmen, hat sich eine geringe Modifikation der RPE-Skala durchgesetzt: Eine RPE 10 bedeutet – analog zur maximalen Anstrengung – dass wir so viele Wiederholungen mit einem gegebenen Gewicht absolviert haben, dass keine einzige weitere Wiederholung mit demselben Gewicht mehr möglich ist, wir uns also bereits am Muskelversagen befinden.
Eine RPE 9 bedeutet, dass noch maximal eine einzige Wiederholung (mit sauberer Technik) möglich wäre – der Grad der Ausbelastung ist immer noch sehr hoch, aber wir vermeiden das Muskelversagen.
Eine RPE 8 bedeutet analog dazu, dass noch maximal zwei Wiederholungen möglich wären – der Grad der Ausbelastung sinkt langsam, aber der Satz wird sich immer noch sehr schwer anfühlen.
Dem Prinzip folgend ermöglicht eine RPE 7 noch 3 Wiederholungen, eine RPE 6 noch 4 und so weiter.
Mithilfe der RPE Skala lässt sich somit die Anstrengung und individuelle Ausbelastung in jedem Satz autoregulativ – also selbstbestimmt auch unter variierenden Bedingungen – bestimmen.

Das Konzept kann zunächst etwas verwirrend sein, schauen wir uns das ganze deshalb nochmal an einem konkreten Beispiel an:              
Nehmen wir an, wir haben uns für unser Training vorgenommen drei Sätze Bankdrücken mit jeweils ungefähr 8-12 Wiederholungen und einer RPE von jeweils 8 zu absolvieren. An einem guten Tag kann das heißen, dass wir 70kg wählen, damit 12 Wiederholungen schaffen und eigentlich noch 2 weitere Wiederholungen hätten machen können. An einem schlechten Tag merken wir, dass die RPE 8 schon nach 10 Wiederholungen erreicht ist, wir also maximal 12 Wiederholungen geschafft hätten (und somit 2 weniger als an unserem guten Tag). Der Grad der muskulären Ausbelastung wird somit an beiden Tagen in etwa gleich sein. Hätten wir uns strikt an die Vorgabe von Wiederholungen und Intensität gehalten, hätten wir am guten Tag wie geplant 12 Wiederholungen gemacht und am schlechten Tag mit allerletzter Mühe auch die 12 Wiederholungen geschafft – jedoch nur unter absoluter Anstrengung und mit einem erhöhten Verletzungsrisiko, sowie der Gewissheit, dass wir länger zum Erholen brauchen, da wir unseren Muskel viel stärker erschöpft haben.

„Grundsätzlich versuchen wir uns im Krafttraining bei den meisten Übungen in einem RPE Bereich von 7-9 bewegen.“     

Wie bereits erwähnt wollen wir einerseits einen überschwelligen Reiz setzen, der unseren Körper dazu bewegt, sich anzupassen und andererseits die Erschöpfung in Grenzen halten, um möglichst „viel“ und lange ohne unnötige Pausen trainieren zu können. Ein Training hingegen, dessen RPE sich dauerhaft unter dem Bereich von 7-9 befindet, wird keinen ausreichend überschwelligen Reiz für den Muskel darstellen und schnell zur Stagnation führen. [5] [7]

In diesem Zusammenhang wird oft auch von effektiven Wiederholungen („effective repetitions“) gesprochen. Das dahinterliegende Konzept geht davon aus, dass jene Wiederholungen besonders relevant für den Muskelaufbau sind, welche die volle Rekrutierung aller Muskelfasern bewirken (und somit effektiv für den Muskelaufbau sind). Per Definition sind bei einem Satz bis zum Muskelversagen alle Muskelfasern rekrutiert, jedoch sind auch schon bei den Wiederholungen davor alle Muskelfasern rekrutiert, jedoch noch nicht gänzlich erschöpft. Wie viele Wiederholungen vor dem Muskelversagen als effektiv für den Muskelaufbau gezählt werden können, ist nicht abschließend geklärt – auch erscheint es unlogisch, dass es hierbei eine Art Schwellenpunkt geben sollte, unter welchem alle Wiederholungen uneffektiv und alle darüber effektiv seien. Viel eher handelt es sich dabei um einen graduellen Übergang zwischen diesen beiden Bereichen. Der Grundgedanke hinter dieser Unterteilung kann uns aber einen Hinweis liefern, warum das Training mit ausschließlich besonders hohen oder besonders niedrigen Intensitäten auf lange Frist kontraproduktiv ist: Bei sehr hohen Intensitäten belasten wir unser Nervensystem komplett aus, bevor wir genügend effektive Wiederholungen absolvieren können (bei 100% des 1 RMs zum Beispiel nur eine) und bei besonders niedrigen Intensitäten haben wir viele uneffektive „Leer-Wiederholungen“ (Junk-Volume), welches uns energetisch erschöpfen und an unserer Ausdauer zehren, bevor wir zu den wirklich wichtigen, effektiven Wiederholungen gelangen.

Die gewählte Übung, die Intensität, der Zeitpunkt im Training und der Zeitpunkt in der groben Trainingsplanung spielen natürlich auch eine Rolle bei der Wahl der RPE.
Bei großen, mehrgelenkigen und komplexen Übungen empfiehlt sich eine RPE im Bereich 7-9. Wir wollen das Verletzungsrisiko minimieren und eine saubere Technik priorisieren, sowie sicher gehen, dass wir hauptsächlich den Zielmuskel treffen, was sich bei Komplexübungen immer etwas schwierig gestaltet, da mehrere Muskeln an der Bewegung beteiligt sind. Bei eingelenkigen Isolationsübungen hingegen, bei welchen das Verletzungsrisiko deutlich geringer ist, kann man deutlich näher ans Muskelversagen trainieren.
Zu Beginn einer Trainingseinheit sollten wir auf maximale RPEs verzichten, um unser Pulver nicht direkt zu Anfang zu verschießen und das Verletzungsrisiko gering zu halten. Sätze bis zum Muskelversagen bieten sich eher gegen Ende des Trainings an, wenn keine weitere Belastung mehr erfolgen soll und wir dem Muskel danach Zeit zum Erholen geben können.  
Auch kann es im Zuge einer längerfristig angelegten Periodisierung sinnvoll sein, in bestimmten Wochen mit maximaler Ausbelastung zu trainieren und danach eine Erholungsphase mit deutlich reduzierter Ausbelastung einzubauen (funktionales Overreaching – mehr dazu im Teil Periodisierung). Eine vollkommene Ausbelastung bei hoher bis maximaler Last sollte auch besser vermieden werden, da ein Muskelversagen in der tiefen Kniebeuge bei 100% des 1RMs deutlich gefährlicher ist, als ein Muskelversagen bei 60% des 1RMs beim Seitheben.  Zudem gibt es vorsichtige Hinweise darauf, dass das Training bis zum Muskelversagen bei hohen Intensitäten kaum Vorteile bezüglich der Auslösung von Hypertrophieeffekten bietet, bei sehr niedrigeren Intensitäten (50-60% 1 RMs) hingegen doch einen gewissen Vorteil liefert (und aufgrund des geringeren Verletzungsrisikos auch realisierbarer erscheint). [8]

 

4. Der optimale Wiederholungsbereich

Wir hatten uns bereits angeschaut, dass verschiedene Wiederholungsbereiche den Körper auf verschiedene Weise belasten, der gewählte Wiederholungsbereich für das kurz- und mittelfristige Muskelwachstum jedoch nicht von tragender Bedeutung zu sein scheint und sowohl niedrige als auch hohe Intensitäten zum gleichen Muskelwachstum führen, wenn die muskuläre Ausbelastung gleich hoch gehalten wird. Mit den Konzepten der muskulären Ausbelastung und der effektiven Wiederholungen im Hinterkopf können wir jetzt jedoch einige letzte Überlegungen anstellen, inwiefern wir vielleicht doch einen „optimalen“ Wiederholungsbereich für unser Training festlegen können und unsere Überlegungen zum „Hypertrophie-Bereich“ von 6-12 Wiederholungen fortführen können.

Hohe Intensitätsbereiche haben den Vorteil, dass wir auch verstärkt unser neurales System trainieren und unsere Maximalkraft deutlich steigern, was wiederum dabei hilft, über lange Frist mehr Gewicht zu bewegen und weiterhin überschwellige Reize zu setzen. Da wir jedoch eher von der neuralen als von der muskulären Erschöpfung limitiert sind, müssen wir im Vergleich zu niedrigeren Intensitäten mehr Sätze machen, um den gleichen Grad an Ausbelastung bzw. Muskelfaserrekrutierungen zu erreichen. Der überproportionalen Belastung unseres Nervensystems geschuldet, würde diese Art des Trainings uns sehr schnell überfordern und würde häufig Pausen erfordern.

Niedrige Intensitätsbereiche trainieren unsere Maximalkraft leider nicht annähernd so effektiv, wie hohe Intensitätsbereiche. Sie haben aber den Vorteil, vermehrt Stoffwechselstress auszulösen und es wird vermutet, dass die, durch die vermehrte Blutzufuhr induzierten, Flüssigkeitsansammlungen (das was man umgangssprachlich als „Pump“ bezeichnet) in der Muskelzelle für eine Dehnung der Zellmembran sorgen und so anabole (muskelaufbauende) Signalkaskaden auslösen. Zudem scheint das chemische Milieu, welches durch die Ansammlung der Stoffwechselprodukte entsteht, den Muskelaufbau zu begünstigen (siehe dazu Teil 1: Physiologische Grundlagen). [9]
Unser Training rein mit hohen und sehr hohen Wiederholungsbereichen zu gestalten stößt in der Praxis auch schnell an seine Grenzen, denn dadurch, dass wir die volle Muskelfaserrekrutierung erst recht spät im Satz erreichen (die ersten Wiederholungen sind einfach zu leicht, um eine genügende muskuläre Ausbelastung zu provozieren), häufen wir sehr viele „überflüssige“ Wiederholungen an, wodurch unser Training deutlich länger dauert und wir einen großen Teil unserer Energie auf nicht-effektive Wiederholungen verschwenden. Außerdem bringt ein Training mit ausschließlich hohen Wiederholungsbereichen selbst bekennende Masochisten schnell an ihre Grenzen. Ein Satz Bizeps-Curls mit 20 Wiederholungen mag sich noch ertragbar (und nach einem Blick in den Spiegel auch lohnend) anfühlen. 4 Sätze Kniebeugen mit jeweils 20 Wiederholungen sind jedoch nur von den wenigsten tolerierbar. Hinzu kommt der eben erwähnte, nur marginal ausfallende Trainingseffekt der Maximalkraft. Während die Fitnessstudios im Zuge der Corona-Pandemie geschlossen waren, habe ich mein gesamtes Training mit Widerstandsbändern zu Hause absolviert und den Wiederholungsbereich bei fast allen Übungen – den Bändern geschuldet – auf mindestens 15 Wiederholungen erhöht. Die Trainingseinheiten waren lang, schmerzhaft und nichts, was ich gerne in diesem Umfang dauerhaft wiederholen möchte (auch, wenn es dem Zweck gedient hat).

In der goldenen Mitte vereinen sich die beiden Stärken der hohen und niedrigen Intensitäten und gleichen sich ihre Schwächen teilweise aus. Wir trainieren schwer genug, um auch signifikante Zuwächse unserer Maximalkraft verzeichnen zu können, aber leicht genug, um nicht von zuerst von unserem zentralen Nervensystem ausgebremst zu werden und genug Volumen (Anzahl an anstrengenden Sätzen) absolvieren zu können. Wir machen genug Wiederholungen, um unseren Muskel voll ausbelasten zu können und alle Muskelfasern zu erschöpfen, jedoch nicht so viele, dass wir unnötig „leere“ Wiederholungen anhäufen. Daher hat es sich in der Praxis auch durchgesetzt, 6-12 Wiederholungen zu empfehlen und diesen Bereich als Hypertrophie-Bereich zu bezeichnen.

Trotzdem ist es empfehlenswert, alle drei Intensitätsbereiche über einen gewissen Zeitraum abzudecken, um auch die speziellen Vorteile aus dem Training mit sehr niedrigen und sehr hohen Wiederholungszahlen zu nutzen. Früher hat man sein Training zum Beispiel dahingehend periodisiert, dass sich Wochen, welche primär auf hohe Intensitäten fokussiert waren, mit solchen, die niedrigere und mittlere Intensitäten trainierten, periodisch abwechselten. Moderner ist es geworden, diese Variation innerhalb einer Trainingswoche und sogar eines Trainings einzubauen. So kann man zum Beispiel zu Beginn einer Trainingseinheit Bankdrücken mit 6 Wiederholungen trainieren und als zweite Brustübung Fliegende an der Maschine mit 15 Wiederholungen absolvieren.

5. Zusammenfassung

Relevant für unsere Trainingsplanung ist sowohl die Last (und der Wiederholungsbereich, den wir dadurch charakterisieren) als auch der Grad der muskulären Ausbelastung in jedem Satz.
Die Intensität in Relation zu unserem Maximalgewicht kann benutzt werden, um einen gewissen Wiederholungsbereich anzugeben und zu bestimmen, wie hoch die gewählte Last sein sollte, um diesen Wiederholungsbereich zu realisieren (also z.B. 80% des 1RMs für ~ 8 Wiederholungen).
Die RPE-Skala kann dazu benutzt werden, um den individuellen Grad der muskulären Ausbelastung/ der Erschöpfung für jeden Satz anzugeben und einzuschätzen.      
Den Hauptteil (~2/3) unseres Trainings sollten wir in einem Intensitätsbereich von 70-85% unseres 1RMs absolvieren, um effizient Volumen akkumulieren zu können.      
Das restliche Drittel können wir auf höhere (85-100%) und niedrigere Intensitäten (60-70%) aufteilen. Der dadurch vorgegebene Wiederholungsbereich liegt primär zwischen ungefähr 6 und 12 Wiederholungen.
Wir wollen den Grad der muskulären Erschöpfung gering halten und dennoch hart genug trainieren, um genug Muskelfasern zu rekrutieren. Deshalb wählen wir für den Hauptteil unseres Trainings eine RPE zwischen 7 und 9 und gehen tendenziell eher bei weniger komplexen Übungen mit niedrigerer Intensität, die gegen Ende unserer Trainingseinheit liegen, bis ans Muskelversagen.  

Quellen:

[1]
Ogborn, D. Schoenfeld, B. (2014). The role of fibre types in muscle hypertrophy: implications for loading strategies. Strength and Conditioning Journal 36 (2): 20-25.

[2]
Fry, AC. (2004). The role of resistance exercise intensity on muscle fibre adaptations. Sport Med 34: 663-679.

[3]
Lasevicius, T. Urginowitsch, C. Schoenfeld, B. et.al. (2018). Effects of different intensities of resistance training with equated volume load on muscle strength and hypertrophy. European Journal of Sport Science 18 (6): 772-780.

[4]
Schoenfeld, B. et al. (2017). Strength and hypertrophy adaptations between low- vs. High-load resistance training: A systematic review and meta-analysis. J Strength Cond Res 31: 3508–3523.

[5]
Santanielo, N. Nóbrega, SR. Scarpelli, MC. et al. (2020). Effect of resistance training to muscle failure vs non-failure on strength, hypertrophy and muscle architecture in trained individuals. Biol Sport.: 37(4):333–341.

[6]
Lacerda, L. et al. (2020). Is Performing Repetitions to Failure Less Important Than Volume for Muscle Hypertrophy and Strength? Journal of Strength and Conditioning Research: 34 (5).

[7]
Morán-Navarro, R. Pérez, CE. Mora-Rodríguez, R. et al. (2017). Time course of recovery following resistance training leading or not to failure. Eur J Appl Physiol 117:2387–2399.

[8]
Lasevicius, T. et al. (2021). Muscle Failure Promotes Greater Muscle Hypertrophy in Low-Load but Not in High-Load Resistance Training. Journal of Strength and Conditioning Research.

[9]
Schoenfeld, B. Contreras, B. (2014). The muscle pump: potential mechanisms and applications for enhancing hypertrophic adaptations. Strength and Conditioning Journal: 36 (3).

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