Was kann mein Geist für meinen Körper tun?


- Das Problem der ästhetischen Selbstoptimierung im Fitnesssport -

1 – Geist und Körper – ein gespaltenes Verhältnis

Geist und Körper als voneinander getrennte Systeme zu betrachten ist kein neues Phänomen, sondern hat eine lange Tradition. Schon Aristoteles betrachtete den Körper als Mittel zum Zweck, als Werkzeug der Seele. Sein Lehrer Platon mahnte zu einer strengen Lebensführung, um diesen ‚Störsender‘ - wie er den Körper nannte - unter Kontrolle zu bekommen und Plotin, welcher Platons Lehre Jahre später wieder aufgriff, sah das Ganze noch etwas düsterer und betrachtete den Körper gar als Übel für die Seele (dementsprechend soll er auch ausgesehen haben - so erzählt man es sich zumindest). Knackiger und etwas weniger pathetisch fasste das dann Bruce Lee mit seinem berühmten Ausspruch „Der Körper folgt dem Geist“ zusammen. Dieses Verständnis drückt sich symbolisch bereits im muskulösen und starken Körper griechischer Götter aus. Im Kampf der göttlichen Seele gegen die irdische Materialität - dem Kampf des unsterblichen Geistes gegen den vergehenden Körper (vgl. Benson 2013). Diese durchtrainierten und gestählten Körper stehen damit im deutlichen Kontrast zu mancher fernöstlichen Gottheit, denken wir zum Beispiel nur an Buddha. In ihren runden, weichen und naturgegebenen Körpergestalten manifestiert sich der Vorrang des Bewusstseins und der Innengewandtheit gegenüber der äußeren Erscheinung.

Abb. des Kanons von Polyklet/ Skulptur aus dem antiken Griechenland (links) und einer Buddha-Statue (rechts)

Gute zwei Jahrtausende später legt Rousseau mit seinen Werken über die Erziehung und die Bewegung wichtige Grundsteine für die folgende Zeit der Aufklärung und des deutschen Philanthropismus („Menschenfreunde“ aus dem Griechischen von: philos = Freund, anthropos = Mensch). Dessen Vertreter wie Guts Muths und Salzmann heben die strikte Trennung von Körper und Geist zwar teilweise auf - denn sie sehen in der Disziplinierung des Körpers eine Möglichkeit, den gesunden Geist zu unterstützen - aber die grundlegende Vorstellung des Körpers als Instrument des Geistes bleibt. Die Philanthropen benutzen die Körpererziehung, um den Geist nach gewissen Idealen zu formen – Wettkampf und eine ständige Steigerung der Leistungsanforderungen ist für sie ein wichtiger Bestandteil der Charakterbildung. Neben der Entfaltung des Einzelnen (Ich habe hier absichtlich nicht gegendert, denn bei den Philanthropen war Gleichstellung noch kein Thema) soll die körperliche Betätigung dabei helfen, die berufliche Nützlichkeit des Körpers zu entwickeln und die Abhängigkeit der Seele von ihrer körperlichen Hülle zu mindern. Nach Guts Muths ist von „allen Sklaven derjenige der elendste, am meisten und am unaufhörlichsten bedrückte Sklave […], dessen Geist den Befehlen des Körpers gehorchen muss“ (Guts Muths 1804). Der Körper soll in den philanthropischen Werkstätten der Musterschulen zur „Veredlung des Menschen“ benutzt werden (ebd.).

Die Aufklärung fügt mit ihrer Betonung des menschlichen rationalen Verstands einen essenziellen Aspekt zu unserem westlichen Körperverständnis hinzu. Durch die „Entzauberung der Welt“, wie es der Soziologe Max Weber so nüchtern wie schön auf den Punkt brachte, erscheint auch der Körper immer mehr als wissenschaftliches Objekt, das erforscht und quantifiziert, entmystifiziert und manipuliert werden kann (Weber 1930). In gewissem Sinne befeuert gerade diese Art der Rationalisierung und Vermessung der Welt im Allgemeinen die Vorstellung vom Körper als mechanischem Werkzeug, das vom Verstand kontrolliert und geformt werden kann und muss.  

Unsere Einstellung gegenüber unseren Körpern folgt also schon seit längerem dem Gedanken von Domestizierung und Disziplinierung. Der Geist ist das lenkende, unser Körper das gelenkte Element. Damit will ich nicht sagen, dass jede Instrumentalisierung per se etwas Verwerfliches ist. Dass wir unsere Körper als Mittel zum Zweck benutzen, um Einfluss auf unsere Umwelt oder unseren Körper selbst auszuüben, liegt in der Natur des Menschen selbst. Wenn wir uns (im Optimalfall) morgens aus dem Bett aufraffen, uns die Tasse Kaffee an die Lippen führen oder auf dem Weg zu Straßenbahn spontan zum Sprint ansetzen müssen – in jeder dieser Handlungen interagieren wir durch unseren Körper mit unserer Umgebung und verwenden diesen in diesem Sinne als Instrument und als Werkzeug. Ein gewisses Maß an Instrumentalisierung ist notwendig und unumgänglich. Die Instrumentalisierung lässt sich also nicht als einen Zustand definieren, der entweder vorhanden ist oder nicht, sondern kann vielmehr in verschiedensten Ausprägungen auftreten. Der Grad der Instrumentalisierung lässt sich in diesem Sinne mit einer Art Skala beschreiben. Diese Skala reicht von einem integrativen, verbundenem und synergistisch Verständnis von Körper und Geist einerseits bis zu einem mechanistischen, rein instrumentellen und vom Geist separierten Verständnis des Körpers andererseits.

Diese extremere Auffassung der mechanistischen Beeinflussung des Körpers durch den Geist tritt heute im Zuge von Leistungsgesellschaft und Selbstoptimierung in einer neuen Intensität an die Oberfläche. Unsere moderne westliche Gesellschaft hat die Instrumentalisierung und Optimierung des eigenen Körpers und dessen Unterordnung unter den Geist nicht nur zum Möglichen, sondern vielmehr zum universellen und moralischen Gebot erhoben. Interessant ist der Zusammenhang zwischen diesem Dogma der Instrumentalisierung und dessen Anwendung im Sport. Nicht nur im Zusammenhang mit Sport als Wettkampfform, sondern insbesondere mit Sport als Mittel zur Ästhetisierung des Körpers spielt es eine wichtige Rolle.

 

2 – Von der Selbstoptimierung und dem perfekten Körper

Man könnte meinen, dass sich mit dem immensen Boom der Gesundheits- und Fitnessbranche der letzten Jahre in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die gegenseitige positive Beeinflussung von Physis und Psyche entwickelt hätte. Aber nicht nur trotz, sondern eher aufgrund des Fitnessbooms unterwerfen wir unsere Körper einem strengeren Diktat von Leistungs- und Ästhetik-Idealen. Wir halten uns fit, damit wir produktiver sind. Wir trainieren unsere Muskeln, damit wir unseren Wert auf dem Dating-Markt steigern. Und selbst die Erholung scheinen wir zunehmend im Sinne einer mechanischen Regeneration der körpereigenen Kräfte zu verstehen, zum Aufladen unserer „Batterien“. Diese Optimierungsgedanken haben sich fest in der Gesellschaft verankert – sie repräsentieren einen Teil unseres Zeitgeistes. So gaben in einer 2020 durchgeführten Umfrage knapp 30% der 7000 Befragten an, dass sie im Alltag Druck durch ihr Umfeld verspüren, sich zum Beispiel in den Bereichen Sport, Ernährung oder Arbeit verbessern zu müssen und unter den 18-39-Jährigen verspürten sogar knapp 50% diesen Druck. Der explizit wahrgenommene Optimierungsdruck ist also gegenwärtig und das vor allem in den jüngeren Generationen (Civey 2020). Der Wunsch nach Verbesserung und Leistungssteigerung bestätigt sich auch mit Blick auf die weit verbreitete Nutzung von Fitness-Trackern und Gesundheits-Apps. Laut einer repräsentativen Studie, die Bitkom 2016 zusammen mit dem Bundesminister für Verbraucherschutz, Heiko Maas, vorstellte, benutzen über ein Drittel aller Deutschen Apps oder Geräte, die Daten über die eigene Gesundheit erfassen (Bitkom 2016). Im Zuge der Coronakrise verzeichneten die Verkaufszahlen 2020 weltweit ein Plus von 27 Prozent im Vergleich zu 2019 und dieser Trend scheint sich auch 2021 fortzusetzen (Gartner 2021).

Das Streben nach Selbstoptimierung hat dabei auch seine Schattenseiten. So liegt der Optimierungslogik auch immer ein gewisses Gefühl von Mangelhaftigkeit und Unzulänglichkeit zu Grunde. Diese muss eliminiert und optimiert werden. Das Optimum definiert sich laut Wiktionary als das „bestmöglichste Ergebnis unter den gegebenen Voraussetzungen“. Das angestrebte Ideal verschiebt sich von „besser“ und Fortschritt hin zu „perfekt“ und Vollendung. In Verbindung mit der modernen Prämisse der Selbstverantwortlichkeit – Norbert Elias formulierte dies als den „gesellschaftlichen Zwang zum Selbstzwang“ (Elias 1981) - ergibt sich aus diesem Wunsch nach (unerreichbarer) Perfektion schnell eine destruktive Dynamik des „Nie-Gut-Genug und Selbst-Dran-Schuld.“ Der Perfektionierungsgedanke herrscht dabei nicht nur in den Themengebiete der Gesundheit und der Produktivität vor, sondern hat auch zunehmend Einzug in die Sphäre der Körperdarstellung und der Körper-Ästhetisierung gefunden.

 

3 – Der Weg in die Ästhetische Selbstoptimierung

Eine steigende Präsenz von „schönen“ und erstrebenswerten Körpern in Werbung, Film und sozialen Medien sorgt vor allem in der jüngeren Generation für ein stereotypisches Bild des perfekten Körpers. Dieser unterliegt einer ganz klaren Schablone von Maßen, Formen und Eigenschaften. Vor allem der männliche idealtypische Körper wird dabei zunehmend auch über dessen Muskulosität definiert – so stellt Pope fest, dass das durchschnittliche männliche Aktmodell zwischen 1976 und 2001 in etwa fünfeinhalb Kilo Fett verloren und 12,5 Kilo Muskelmasse zugenommen hat (Pope 2001). Diese moderne Neuauflage der Ästhetisierung von muskulösen Körpern schafft eine Brücke zwischen Schönheit und körperlicher Betätigung, dem Fitness-Training, und ordnet die sportliche Aktivität dabei zunehmend dem angestrebten, ästhetischen Ergebnis unter. Der ästhetische Körper symbolisiert nicht nur Kraft und Gesundheit, sondern auch die individuelle Leistungsbereitschaft und -fähigkeit und kommuniziert dabei auch eine Form der gesellschaftlichen Stellung. Die ästhetische Selbstoptimierung strebt somit nicht nur eine Steigerung der individuellen Attraktivität an, sondern zielt darüber hinaus auch auf soziale Anerkennung und das Erlangen von Sozialprestige ab (vgl. Gugutzer 2016). „Einfach gut aussehen.“ - Der Werbeslogan der Fitnessstudio-Kette McFit ist sinnbildlich für das heutige körperliche Leitbild vieler Sportler*innen und betont dabei die extrinsische gegenüber der intrinsischen Motivation. Die Orientierung am Ergebnis des Sporttreibens rückt stärker in den Mittelpunkt – auf Kosten der Freude an der sportlichen Betätigung selbst.

Diese gesellschaftliche Vorstellung des perfekten, leistungsfähigen, starken und schönen Körpers steht im krassen Gegensatz zu seiner Erreichbarkeit für die/den Einzelne*n. So sind zum Beispiel die amerikanischen Standards – in Bezug auf das Gewicht – von idealtypischen und durch die Werbung verbreiteten Frauenkörpern so unrealistisch, dass nur 2% aller amerikanischer Frauen diesem „idealen“ Gewicht überhaupt gerecht werden (Strahan et al. 2006). Während in der Forschung lange Jahre der Fokus auf die Körperbilder und die daraus entstehenden Wahrnehmungen in Bezug auf Frauen untersucht wurde, wird immer deutlicher, dass auch Männer zunehmend durch stilisierte und prototypische Körperbilder unter Druck geraten (Lavender et al. 2017).

Eine tragende Rolle bei der Bildung und Verfestigung der westlichen kulturellen Schönheitsideale, insbesondere dem des dünnen, beziehungsweise dünn-muskulösen Körpers, spielen die sozialen Medien wie zum Beispiel Instagram oder Facebook. Die Nutzung von sozialen Medien ist mit einem negativen Körperselbstbild verknüpft und diese Verbindung scheint sich durch langfristige Nutzung weiter zu verstärken (Fardouly & Vartanian 2016). Die mediale Darbietung von „schönen“ Körper steht damit in einem engen Zusammenhang mit dem Ausmaß, in welchem wir diese Körperbilder als Standard akzeptieren, internalisieren und als Referenz für unsere eigenen Körper benutzen. Denn das Körperselbstbild ist „nicht etwas rein Individuelles, Subjektives, sondern untrennbar mit den gesellschaftlich vorherrschenden […] Körperbildern und -idealen“ (Gugutzer 2015) verbunden. Durch die rasant gestiegene und allzeit vorhandene Präsenz von Werbung und die (Körper-)Standards, die sie vermittelt (die schon vor der Nachbearbeitung durch Photoshop für die meisten Menschen unerreichbar sind), wird unsere Vorstellung von Schönheit und Ästhetik konstant und meistens unbewusst geformt. Eine aktive Reflexion des eigenen Körperideals wird immer weiter erschwert. Dieses Spannungsfeld zwischen unerreichbaren Standards, retuschierten und idealisierten Körpern sowie suggerierter Machbarkeit einerseits und der individuellen, tatsächlichen Erreichbarkeit für die/ den Einzelne*n andererseits scheint in kaum einem Feld derart aufzuklaffen wie im Bereich des Fitnesssports. Denn in diesem Bereich ist die Fähigkeit der/des Einzelnen, eine gewisse Optik und einen bestimmen Grad an Muskulosität zu erreichen, stark variabel und genetisch determiniert - der Verwirklichung des ästhetischen Vorbilds sind von vornherein Grenzen gesetzt (Hubal et al. 2005; Timmons 2011). Der Fitnessmarkt und das Geschäft mit dem Körper leben gerade davon, dass wir einem unerreichbaren Idealbild hinterherjagen, von dem wir aber denken, dass es realistisch sei – wenn wir hart genug an uns arbeiten, das neuste „geheime“ Trainingssystem oder das nächste Wunder-Nahrungsergänzungsmittel kaufen.

 

4 – Der eigene Körper wird zum Problem

Dem Körper als Instrument zur Erreichung dieses Leitbildes kommt in diesem Zusammenhang eine Doppelrolle zu. Einerseits ist er die notwendige Grundvoraussetzung, die es uns überhaupt erst ermöglicht, am Wettlauf um das ästhetische Ideal teilzunehmen. Andererseits stellt er gleichzeitig ein Problem dar, das bewältigt werden muss, um zu dieser objektiven Vorstellung eines perfekten Körpers zu gelangen. Der Körper muss diszipliniert, einem Trainings- und Ernährungsregime unterworfen und kontrolliert werden, um den gewünschten Standard zu erreichen. Der Körper als Hindernis, das es zu überwinden gilt, ist fest mit dem Optimierungs- und Leistungsgedanken generell, wie auch mit dem Sport im Gesamten, verbunden. In Bezug zum ästhetischen Ideal spielt er jedoch eine besonders ausgeprägte Rolle. Denn Schönheitsideale sind im Sinne von Gewicht, Hüftumfang, Muskelmasse und -form etc. besonders leicht zu quantifizieren und der Vergleich dieser Maße mit dem eigenen Körper kann somit umso schneller hergestellt werden kann. Zentral ist in diesem Zusammenhang auch der Wunsch nach Kontrolle, der mit der Problematisierung und Instrumentalisierung des Körpers einhergeht. Um die Limitationen des eigenen Körpers zu umgehen, muss ständige Kontrolle ausgeübt werden – ob in der Ernährung, dem Alltag oder in der Trainingsplanung. Auch wenn sich dieser Konflikt mit dem eigenen Körper nicht in jedem Falle in pathologischem Verhalten niederschlägt, hat er doch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Wohlbefinden und die Selbstwahrnehmung. Dies ist vor allem bei Heranwachsenden der Fall (Avalos et al. 2005).

 

5 – Was kann mein Geist für meinen Körper tun?

Die Maxime, welche diesen Dynamiken von Optimierung und Instrumentalisierung zugrunde liegt, könnte formuliert werden als: Was kann mein Körper für meinen Geist tun? Wir zwängen unseren Körpern zunehmend Ziele auf, die sich an utopischen Vorstellungen von Schönheit und Leistung orientieren und dabei nur im entferntesten Sinne realistisch oder erreichbar sind. Diese Vorstellungen missachten die individuellen Voraussetzungen, Stärken und Schwächen unseres Körpers. Sie sind maßgeschneidert auf einen Idealtypus, nicht auf die Gegebenheiten unseres Körpers. Wir erwarten von unserem Körper, dass er sich zu diesem Idealtyp formen lässt und sind enttäuscht, wenn wir es „wieder einmal nicht schaffen“ oder die Entwicklung zu lange dauert. Diese Art der Zielsetzung ist kontraproduktiv, da sie eine binäre Vorstellung von Erfolg verstärkt – entweder ich kann meinen Körper derart beeinflussen und verändern, dass ich dem gewünschten Ideal entspreche, oder ich versage. Das unumgängliche „Versagen“ wird hierbei auf die eigene Unfähigkeit projiziert und weniger im Verhältnis zum gesetzten Ziel interpretiert. Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und der persönlichen Leistungsfähigkeit sind für die meisten vorprogrammiert. Resultiert die Motivation zum Training vermehrt aus dem externen Anreiz des ästhetischen und attraktiven Körpers und weniger aus der Freude an der Bewegung an sich, können diese unerreichbaren Ziele enttäuschend wirken und jeden Spaß am Sport im Keim ersticken.

Gerade dadurch, dass diese Ziele sozial konstruiert und gesellschaftlich beworben werden, hinterfragen wir die Absolutheit und Gültigkeit dieser Art von Zielen viel zu selten. Dabei wirft sich bei genauerer Betrachtung die berechtigte Frage auf, ob es nicht vielmehr die Unerreichbarkeit der Illusion als die eigene Unfähigkeit ist, welche das Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gerade der permanente und unreflektierte Vergleich mit unrealistischen Schönheitsidealen entfernt uns immer weiter von der Wahrnehmung individueller und realistischer Schönheit und einem gesunden Selbstwertgefühl – und einem gesunden Körper. Der stetige Wunsch nach Optimierung und Ästhetisierung des Körpers gleicht einem Weg, der nie ans Ziel führt. Jeden Tag werden wir mit Bildern konfrontiert, welche „schönere“ und ästhetischere Körper zeigen als den Eigenen und uns zum kontraproduktiven Vergleich einladen. Doch wie können wir diesem Teufelskreis aus aussichtslosem Vergleich, empfundenen Defiziten und neuerlichem Versuchen entkommen?

 

Wenn dir etwas an deinem Leben nicht gefällt, dann ändere es. Wenn du es nicht ändern kannst, dann ändere deine Einstellung dazu.

Maya Angelou

Unsere gesellschaftlichen Ideale zu ändern und zu hinterfragen, braucht kollektiven Einsatz und vor allem eins: viel Zeit. Für die/ den Einzelne*n ist es sinnvoller, im Sinne des Zitats von Maya Angelou, sich mit den eigenen Einstellungen und Vorstellungen auseinanderzusetzen und sich zu fragen: Welches Ziel verfolge ich und aus welchem Grund? Ist das ein Ziel, welches mein Körper in der Lage ist zu leisten? Und tue ich meinem Körper damit langfristig Gutes? Im Zusammenhang mit dem Sport bleibt außerdem zu fragen: Verfolge ich das Ziel, weil ich Spaß an der Sache habe oder weil ich mir wünsche, einem bestimmten Vorbild zu entsprechen? Gerade im Fitnesssport müssen wir uns Ziele setzen, welche unseren Anlagen entsprechen und unterscheiden lernen zwischen einem ästhetischen Leitbild und den Voraussetzungen, die wir mitbringen. Schwieriger, aber gleichzeitig wichtiger denn je erscheint heute die Kultivierung eines synergistischen und wechselseitigen Verhältnisses von Geist und Körper im Gegensatz zu einem rein instrumentellen und mechanistisch-kontrollierenden. Guts Muths sprach in diesem Sinne vom „verkörperten Geist“ und vom „geistigen Körper“ – dem „Menschen […]“ als „einem einzigen Ganzen, einem unteilbaren Wesen“ (GutsMuths, 1804). Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper, so geht die Redewendung. Der Körper bleibt jedoch nur gesund, wenn sich der Geist gesunde Ziele setzt. Vielleicht sollten wir öfters die Perspektive wechseln und uns fragen: Was kann mein Geist für meinen Körper tun?

 



Literaturverzeichnis:

 Avalos, Laura; Tylka, Tracy L.; Wood-Barcalow, Nichole (2005): The Body Appreciation Scale: development and psychometric evaluation. In: Body image 2 (3), S. 285–297

Benson, Jan (2013): Männer und Muskeln. Über die soziale Konstruktion des männlichen Körperideals. unv. DIss. Universtität Düsseldorf.

Bitkom (2016): Fitness-Tracker und Datenschutz. https://shop.strato.de/WebRoot/Store19/Shops/63742557/56B9/AC82/F4B5/3630/861E/C0A8/2BBA/A660/Bitkom_Charts_PK_Safer_Internet_Day_-_E-Tracker_und_Datenschutz_09_02_2016_final.pdf; abgerufen am 28.05.2021

Civey (2020): Spüren Sie im Alltag Druck durch Ihr Umfeld, sich stetig verbessern zu müssen?, abgerufen am 03.09.2020

Elias, N. (1981/1982). Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und Psychogenetische Untersuchungen. 8. Auf. 2 Bde. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Fardouly, Jasmine; Vartanian, Lenny R. (2016): Social Media and Body Image Concerns: Current Research and Future Directions. In: Current Opinion in Psychology 9, S. 1–5.

Gartner (2021): Gartner Forecasts Global Spending on Wearable Devices to Total $81.5 Billion in 2021. https://www.gartner.com/en/newsroom/press-releases/2021-01-11-gartner-forecasts-global-spending-on-wearable-devices-to-total-81-5-billion-in-2021; abgerufen am 28.05.2021

Gugutzer, Robert (2015): Soziologie des Körpers. 5., vollst. überarb. Aufl. Bielefeld: Transcript-Verl. (Einsichten). Online verfügbar unter http://d-nb.info/1047816091/04.

Gugutzer, Robert (2016): Körperzauber? Der Kult um den Körper in der "entzauberten Welt", in: Hettlage, Robert / Bellebaum, Alfred (Hrsg.): Religion. Spurensuche im Alltag, Wiesbaden, S. 137-155.

Guts Muths, Johann Christoph Friedrich (1804): Gymnastik für die Jugend. Enthaltend eine praktische Anweisung zu Leibesübungen; ein Beytrag zur nöthigsten Verbesserung der körperlichen Erziehung. Schnepfenthal.

Hafen, Martin (2021): Selbstoptimierung als Ausdruck der Leistungsgesellschaft. In: SuchtMagazin 47 (1), S. 4–12.

Hubal, Monica J.; Gordish-Dressman, Heather; Thompson, Paul D.; Price, Thomas B.; Hoffman, Eric P.; Angelopoulos, Theodore J. et al. (2005): Variability in muscle size and strength gain after unilateral resistance training. In: Medicine and science in sports and exercise 37 (6), S. 964–972.

Lavender, Jason M.; Brown, Tiffany A.; Murray, Stuart B. (2017): Men, Muscles, and Eating Disorders: an Overview of Traditional and Muscularity-Oriented Disordered Eating. In: Current psychiatry reports 19 (6), S. 32.

Mühlhausen, Corinna (2016): Selbstoptimierung 2.0. Entspannt schneller, höher und weiter kommen, in: news aktuell, Whitepaper 03: Selbstoptimierung. Wie Menschen und Unternehmen vom Megatrend profi-tieren, Hamburg, S. 3-5.

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Pope, H. G.; Olivardia, R.; Borowiecki, J. J.; Cohane, G. H. (2001): The growing commercial value of the male body: a longitudinal survey of advertising in women's magazines. In: Psychotherapy and psychosomatics 70 (4), S. 189–192. DOI: 10.1159/000056252.

Strahan, Erin J.; Wilson, Anne E.; Cressman, Kate E.; Buote, Vanessa M. (2006): Comparing to perfection: How cultural norms for appearance affect social comparisons and self-image. In: Body image 3 (3), S. 211–227.

Timmons, James A. (2011): Variability in training-induced skeletal muscle adaptation. In: Journal of applied physiology (Bethesda, Md. : 1985) 110 (3), S. 846–853.

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https://de.wiktionary.org/wiki/optimal; Zugriff am: 21.05.2021

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