Tickst du noch richtig? Chrono-Ernährung, innere Uhren und ihr Einfluss auf unsere Gesundheit

Über kaum ein Thema lässt sich so hitzig debattieren, wie über die Ernährung. Eine Frage, die dabei immer wieder aufkommt: „Macht es einen Unterschied, wann ich esse?“. Mit diesem Thema beschäftigt sich die Chrono-Ernährung, ein recht neues Forschungsfeld.

Die wichtigsten und aktuellen Erkenntnisse habe ich dir in diesem Artikel kurz und knapp zusammengefasst.

Die Takeaways findest du wie gewohnt am Ende des Artikels.

Viel Spaß beim Lesen und Anwenden!

 

1 Und es macht doch einen Unterschied

„Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler.“

Oder:

„Keine Kohlenhydrate nach 18 Uhr.“

Zwei populäre Diät-Ratschläge, die den meisten etwas überholt vorkommen mögen.

Aber es scheint doch ein Fünkchen Wahrheit in diesen beiden Aussagen zu stecken – darauf deuten zumindest neue Ergebnisse aus dem Forschungsfeld der Chrono-Ernährung hin.

Chrono-Ernährung/ Chrono-Nutrition (vom griechischen cronos = Tag) beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen biologischen Rhythmen, wie zum Beispiel unserem Tagesrhythmus und unserer Ernährung und den gesundheitlichen Folgen, die aus diesem Zusammenhang entstehen.

Und immer mehr Studien belegen: Wann wir essen, kann einen bedeutenden Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden haben. (Flanagan et al. 2021).

Unser Körper hat sich an den 24 Stunden Rhythmus (diurnaler Rhythmus) eines Tages angepasst. Menschen, wie auch andere Lebewesen, haben circadiane „Uhren“ (aus dem lateinischen circa = um…herum; dies = tag), die unsere biologischen Prozesse an den Tagesverlauf anpassen (Oda 2015).

Diese Uhren können zwar auch autonom funktionieren – werden aber primär durch Zeitgeber, wie zum Beispiel das Tageslicht oder andere Uhren, synchronisiert und gesteuert.

Zusammen haben unsere inneren Uhren einen bedeutenden Einfluss auf unser Verhalten. Zum Beispiel, wann wir Hunger haben, wie unser Stoffwechsel arbeitet oder welche Gene exprimiert werden (Flanagan 2021).

In einem natürlichen Zustand generieren die verschiedenen Uhren eine Art, sich verstärkenden, Feedback-Loop: Die Tageszeit beeinflusst unsere Nahrungsaufnahme und unsere Nahrungsaufnahme verstärkt unseren natürlichen Tagesrhythmus etc.

In unserer modernen Gesellschaft werfen wir diesen Rhythmus aber zunehmend über Bord.

Künstliches Licht suggeriert unserem Körper längere und versetzte Tageszeiten und unsere Nahrungsaufnahme folgt meist einem anderen Rhythmus als der biologische Tag und die biologische Nacht.

Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine solche Desynchronisation zwischen den verschiedenen Uhren negative gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (Parsons et al. 2015).

Faktoren wie eine Verschiebung der Kalorienaufnahme auf die Abendstunden, unregelmäßige Mahlzeiten und geringere Fastenzeiten scheinen alle kardiometabolische (also den Stoffwechsel, wie auch unser Herz-Kreislauf-System betreffende) Gefahren mit sich zu bringen (Kahleova et al. 2017).

 

 

2 Ein komplexes System innerer Uhren:

An der Spitze der inneren Uhren steht die „Master-Uhr“, welche im suprachiasmatischen Kern (SCN) des Gehirns, direkt über den Sehnerven, liegt. Sie kann ihren 24 -Stunden Tagesrhythmus auch ohne jegliche externe Zeitgeber intakt halten. Dennoch reagiert sie sehr sensibel auf Änderungen der Lichtverhältnisse (Patton & Hastings 2018).

Zusätzlich hat fast jede Zelle und jedes Gewebe im menschlichen Körper eine eigene Uhr – so gibt es zum Beispiel eine Leber-Uhr und eine Magen-Uhr. (Brown 2020).

Diese peripheren Uhren (die Uhren in den Zellen und Geweben außerhalb des Gehirns) werden sowohl durch interne Faktoren (wie zum Beispiel die Master-Uhr) als auch durch externe Faktoren wie unsere Nahrungsaufnahme beeinflusst.

Der Rhythmus des SCN dient dem Körper als Orientierungsgrundlage für verschiedene physiologische Prozesse – so unter anderem für die Ausschüttung bestimmter Hormone wie Leptin, Ghrelin und Insulin, aber auch für unseren Schlafrhythmus und andere Verhaltensmuster.

Während der SCN als Taktgeber für viele unterschiedliche Prozesse dient, nehmen auch unsere Verhaltensweisen wechselseitig Einfluss darauf, wie der SCN „tickt“. Das geschieht über einen Feedback-Loop, den sogenannten „Transkriptionell-translationalen Feedback Loop“ (TTFL) (Takahashi 2016).

Wie manche dem Namen vielleicht schon entnehmen können, haben diese Rhythmen einen Einfluss auf die Gen-Expression also die Ausbildung und Veränderung von genetischen Informationen in unseren Zellen (Christou et al. 2019).

Über diesen Mechanismen ist unser circadianer Rhythmus eng mit unserem Stoffwechsel verknüpft (Flanagan 2021).

Diese komplexen und ausgeklügelten Reglungsprozess bereitet sich unser Körper auf Phasen der Nahrungsaufnahme (Tag) und Phasen des Fastens vor (Nacht) und gewährleistet, dass die, für die jeweiligen Prozesse und Phasen notwendigen, hormonellen Voraussetzungen gegeben sind.

Es würde keinen Sinn ergeben, wenn unser Körper seine System auch in der Nacht auf Nahrungsaufnahme geschaltet lassen würde oder tagsüber in den Fastenmodus schalten würde.

Interessanterweise hat unser circadianer Rhythmus auch Einfluss auf unser Belohnungs- und unser Dopaminsystem. So wird unsere Sensitivität gegenüber hedonistischen Motiven rhythmisiert. Eine Störung unseres Rhythmus könnte also darin resultieren, dass wir weniger vor Versuchungen geschützt sind. (DePoy et al. 2017)

Wie eben schon erwähnt hat auch unsere Nahrungsaufnahme einen signifikanten Einfluss darauf, wie unsere innere Uhr tickt – insbesondere unsere Magen-Uhr. Je nachdem, wie und in welcher Frequenz wir essen, „stellen“ wir damit die peripheren Uhren in verschiedensten Geweben.

Unser Körper orientiert sich an diesem Rhythmus und erwartet dementsprechend eine Nahrungsaufnahme zu bestimmten Zeiten.

Jede/r, die/ der schon einmal das Frühstück ausgelassen hat, wird gemerkt haben, dass sich der Hunger genau dann meldet, wenn an anderen Tagen eigentlich immer das Frühstück am Tisch stand.

Was bemerkenswert ist: unser interner SCN-Rhythmus kann sich deutlich von unserem peripheren Rhythmus unterscheiden – je nachdem, welchen Essens-Rhythmus wir verfolgen (Wehrens et al. 2017).

Unter den Hormonen, die einen Einfluss auf unseren circadianen Rhythmus haben, hat insbesondere Insulin (ein Speicherhormon, dass Zellen die Einspeicherung von Nährstoffen vereinfacht und vermehrt bei Nahrungsaufnahme – vor allem von Kohlenhydraten/ Glukose - ausgeschüttet wird) einen deutlichen Effekt auf die Uhren in verschiedensten Gewebeformen unseres Körpers. Besonders stark ist dabei der Einfluss von Insulin auf die Leber- und Fettgewebs-Uhren. (Crosby et al. 2019; Oda 2015).

 

 

3 Was passiert, wenn wir essen?

Mit der Tageszeit verändert sich auch die Fähigkeit unseres Körpers, Glukose (Einzelzucker und Baustein der Kohlenhydrate) aufzunehmen und zu verarbeiten. So konnte beobachtet werden, dass die Glukose-Konzentration im Blut (also Glukose-Moleküle, die nicht verarbeitet werden konnten) nach einer Mahlzeit am Morgen niedriger ist als nach der gleichen Mahlzeit zu späterer Stunde (Leung et al. 2019).

Während der biologischen Nacht zu Essen steht in Zusammenhang mit einer verschlechterten Insulin-Sensitivität und einer übermäßigen Ausschüttung von ß-Zellen (die auch maßgeblich an der Insulinantwort und der Glukose-Verarbeitung beteiligt ist) (Eckel et al. 2015).

Generell kann beobachtet werden, dass Menschen, die die meisten ihrer Kalorien früher am Tag zu sich nehmen, über den Tag verteilt weniger Kalorien zu sich nehmen, eine stabilere Mahlzeiten-Routine besitzen und generell eine höhere Ernährungs-Qualität vorweisen (Kahleova et al. 2017).

Und die zeitliche Verteilung der Mahlzeiten, beziehungsweise die Synchronisation von SCN-Rhythmus und Mahlzeiten, ist direkt mit dem BMI gekoppelt. Umso später am Tag die meisten Kalorien gegessen werden, desto höher der BMI der Proband*innen (Kahleova et al. 2017; McHill et al. 2017).

Das liegt unter anderem daran, dass bei Dämmerung und Dunkelheit vermehrt Melatonin ausgeschüttet wird – ein Hormon, dass unseren Wach-/ Schlafrhythmus steuert und auch einen Einfluss auf Verdauungsprozesse und unsere Glukose-Toleranz hat. Nahrung, die wir aufnehmen, wenn unsere Melatonin-Spiegel hoch sind, kann dementsprechend nicht so effizient verarbeitet werden. (McHill et al. 2017)

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Regelmäßigkeit der Nahrungsaufnahme. Nahrungsmengen und Essenszeiten, die von einem auf den anderen Tag variieren sind beide signifikant verbunden mit einem gesteigerten Risiko für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms (Pot 2018).

Auch die gesamte zeitliche Länge der täglichen Energiezufuhr hat in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Längere „Essens-Fenster“ sorgen meist dafür, dass ein immer größerer Teil der Kalorien abends konsumiert wird – mit den eben erwähnten negativen Auswirkungen auf unsere Gesundheit. (Gill & Panda 2015)

Denn: Vermehrt Zeit in einem postprandialen Zustand („nach dem Essen“) zu verbringen kann den Stoffwechsel verschlechtern und das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen erhöhen. (Pappas et al. 2016).

Es bleibt noch viel zu erforschen, denn die Chrono-Ernährung steckt noch in ihren Kinderschuhen. Dennoch liefert sie uns auch jetzt schon interessante Ansatzpunkte dazu, wie wir unser Essverhalten an den Tag anpassen sollten, wenn wir ein optimales Funktionieren unserer körpereigenen Prozesse gewährleisten wollen.

Chrono-Ernährung könnte eine effektive Stellschraube zur Bekämpfung von Übergewicht und zur Verbesserung der allgemeinen und insbesondere der Stoffwechsel-Gesundheit sein und scheint gerade bei Patient*innen mit Stoffwechselerkrankungen, wie z.B. Diabetes Typ II eine vielversprechende Therapiemethode darzustellen (Flanagan 2021).

 

 

4 Tipps für die praktische Anwendung:

1)      Die meisten Kalorien des Tages sollten früher am Tag (~ vor 15:00) konsumiert werden.

2)      Kalorien während der biologischen Nacht und kurz vor dem Schlafen gehen zu konsumieren ist keine gute Idee.

3)      Regelmäßigkeit in der Nahrungsaufnahme (sowohl Zeit als auch Menge) scheint einen positiven Effekt auf unsere circadianen Rhythmen und unsere Gesundheit zu haben.

4)      Das „Fastenfenster“ zu verlängern und die Nahrungsaufnahme zeitlich zu limitieren kann eine sinnvolle Strategie sein, um unsere internen Uhren zu synchronisieren. Dabei sollte das Ernährungs-Fenster morgens beginnen und die Fastenperiode durch Auslassen von Mahlzeiten später am Tag verlängert werden.

 

Ich hoffe, du konntest etwas Interessantes aus diesem Artikel mitnehmen.

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Bis zum nächsten Artikel und bleib stabil,

dein Lukas

 

 

 

Brown, T. (2020). Melanopic illuminance defines the magnitude of human circadian light responses under a wide range of conditions. Journal of Pineal Research, 69, e12655. https://doi.org/10.1111/jpi.12655

Christou, S., Wehrens, S., Isherwood, C., Möller-Levet, C. S., Wu, H., Revell, V. L., Bucca, G., Skene, D. J., Laing, E. E., Archer, S. N., & Johnston, J. D. (2019). Circadian regulation in human white adipose tissue revealed by transcriptome and metabolic network analysis. Scientific Reports, 9, 2641. https://doi.org/10.1038/s4159 8-019- 39668 -3

Crosby, P., Hamnett, R., Putker, M., Hoyle, N., Reed, M., Karam, C., Maywood, E., Stangherlin, A., Chesham, J., Hayter, E., Rosenbrier- Ribeiro, L., Newham, P., Clevers, H., Bechtold, D., & O’Neill, J. (2019). Insulin/IGF-1 drives PERIOD synthesis to entrain circadian rhythms with feeding time. Cell, 177, 896–909.e20.

DePoy, Lauren M.; McClung, Colleen A.; Logan, Ryan W. (2017): Neural Mechanisms of Circadian Regulation of Natural and Drug Reward. In: Neural Plasticity 2017, S. 5720842. DOI: 10.1155/2017/5720842.

Eckel, R., Depner, C., Perreault, L., Markwald, R., Smith, M., McHill, A., Higgins, J., Melanson, E., & Wright, K. (2015). Morning circadian misalignment during short sleep duration impacts insulin sensitivity. Current Biology, 25, 3004–3010. https://doi.org/10.1016/j.cub.2015.10.011

Flanagan, Alan; Bechtold, David A.; Pot, Gerda K.; Johnston, Jonathan D. (2021): Chrono-nutrition: From molecular and neuronal mechanisms to human epidemiology and timed feeding patterns. In: Journal of neurochemistry 157 (1), S. 53–72. DOI: 10.1111/jnc.15246.

Gill, S., & Panda, S. (2015). A smartphone app reveals erratic diurnal eating patterns in humans that can be modulated for health benefits. Cell Metabolism, 22, 789–798. https://doi.org/10.1016/j.cmet.2015.09.005

Kahleova, Hana; Lloren, Jan Irene; Mashchak, Andrew; Hill, Martin; Fraser, Gary E. (2017): Meal Frequency and Timing Are Associated with Changes in Body Mass Index in Adventist Health Study 2. In: The Journal of nutrition 147 (9), S. 1722–1728. DOI: 10.3945/jn.116.244749.

Leung, G., Huggins, C., & Bonham, M. (2019). Effect of meal timing on postprandial glucose responses to a low glycemic index meal: A crossover trial in healthy volunteers. Clinical Nutrition, 38, 465–471

McHill, A., Phillips, A., Czeisler, C., Keating, L., Yee, K., Barger, L., Garaulet, M., Scheer, F., & Klerman, E. (2017). Later circadian timing of food intake is associated with increased body fat. American Journal of Clinical Nutrition, 106, 1213–1219.

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Pappas, C., Kandaraki, E., Tsirona, S., Kountouras, D., Kassi, G., & Diamanti-Kandarakis, E. (2016). Postprandial dysmetabolism: Too early or too late? Hormones (Athens)., 15, 321–344.

Parsons, M. J.; Moffitt, T. E.; Gregory, A. M.; Goldman-Mellor, S.; Nolan, P. M.; Poulton, R.; Caspi, A. (2015): Social jetlag, obesity and metabolic disorder: investigation in a cohort study. In: International journal of obesity (2005) 39 (5), S. 842–848. DOI: 10.1038/ijo.2014.201.

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Pot, Gerda K. (2018): Sleep and dietary habits in the urban environment: the role of chrono-nutrition. In: The Proceedings of the Nutrition Society 77 (3), S. 189–198. DOI: 10.1017/S0029665117003974. https://doi.org/10.1016/j.cub.2018.06.052

Takahashi, J. (2016). Transcriptional architecture of the mammalian circadian clock. Nature Reviews Genetics, 18, 164–179. https://doi.org/10.1038/nrg.2016.150

Wehrens, S., Christou, S., Isherwood, C., Middleton, B., Gibbs, M., Archer, S., Skene, D., & Johnston, J. (2017). Meal timing regulates the human circadian system. Current Biology, 27, 1768–1775.e3. https://doi. org/10.1016/j.cub.2017.04.059

 

 

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